Anspruch und Wirklichkeit bei der Anreise von Fachkräften nach Deutschland

Der Anspruch: Alle Neuerungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes sind mittlerweile in Kraft getreten. So sagte zum Beispiel Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales: „Der Fachkräftemangel darf nicht zur Wachstumsbremse werden. Damit unsere Wirtschaft genügend Fachkräfte hat, brauchen wir jede helfende Hand und jeden klugen Kopf. Unser neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz gehört zu den modernsten in Europa und ist die richtige Grundlage, um hier erfolgreich zu sein. […] Damit machen wir es ausländischen Fachkräften mit Berufserfahrung und Auszubildenden leichter, nach Deutschland zu kommen.“

Und Nancy Faeser, die Bundesinnenministerin, findet: „Wir bauen bürokratische Hürden ab und machen Deutschland attraktiver für ausländische Fachkräfte“. Beide Zitate stammen aus einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom Februar 2024.

So weit, so gut, die Novelle des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes bringt viele Änderungen mit sich, darunter auch Erleichterungen, von denen hier beispielhaft einige genannt werden. So gehört die Absenkung des Mindestgehaltes zur Erlangung der Blue Card dazu. Oder die Vereinfachung für Blue Card-Inhaber*innen, die Stelle zu wechseln und sogar die eigenen Eltern oder Schwiegereltern nach Deutschland kommen zu lassen. Es gibt zudem Erleichterungen bei der Berufsanerkennung, sodass nun Personen mit mindestens zwei Jahren Berufserfahrung und einem staatlich anerkannten Berufsabschluss im Herkunftsland ohne formales Anerkennungsverfahren in Deutschland arbeiten können. Das Anerkennungsverfahren kann auch nach der Einreise durchgeführt werden, wenn ein Arbeitsvertrag vorliegt und der Arbeitgeber dies unterstützt – im Rahmen der sogenannten Anerkennungspartnerschaft. Außerdem gibt es die neue Chancenkarte, die – grob formuliert – ermöglicht, ohne konkretes Arbeitsplatzangebot nach Deutschland einzureisen und dort für die Dauer von 12 Monaten nach Arbeit oder einem Ausbildungsplatz zu suchen – sofern der Lebensunterhalt gesichert ist und ein im Herkunftsland anerkannter Hochschulabschluss oder eine mindestens zweijährige Berufsausbildung vorliegt.

All das klingt ja erst einmal sehr gut. Und dann gibt es da auch noch das erklärte Ziel, dass mit dieser Novelle gleichzeitig bürokratische Hürden abgebaut und die Verfahren beschleunigt werden sollen, damit Fachkräfte schneller nach Deutschland kommen und hier arbeiten können. Auch eine sehr gute Idee!

Die Wirklichkeit

Der Blick darauf, wie das alles in der Wirklichkeit aussieht, dämpft die Zuversicht allerdings etwas ein. Ja, es tut sich was bei einzelnen Botschaften im Bereich der Digitalisierung, sodass Visumsanträge schneller gestellt werden können. Dennoch sind die meisten Botschaften oder Konsulate ein erstes Nadelöhr. Denn nach wie vor warten Menschen, die einen Arbeitsvertrag eines deutschen Arbeitgebers in der Tasche haben und lieber heute als morgen diese Stelle auch antreten wollen, im besten Fall ein paar Wochen, im schlechtesten Fall mehrere Monate auf einen Termin, um ein Einreisevisum zu beantragen. Frust auf beiden Seiten – bei den neuen Mitarbeitenden wie auch beim Arbeitgeber – ist vorprogrammiert!

Manch einer mag schon fast vergessen haben, dass es unter den Drittstaaten die sogenannten privilegierten Länder wie Australien, Großbritannien, Japan, Kanada, Neuseeland, Südkorea und die USA gibt, deren Staatsangehörige auch zur Arbeitsaufnahme visumfrei einreisen könnten. Das große Aber ist ein weiteres Nadelöhr und heißt konkret „die zuständige regionale Ausländerbehörde“. Denn was vor (vielen) Jahren noch möglich war – nämlich ein Termin bei der Ausländerbehörde wenige Tage nach Einreise zu bekommen – ist momentan schlichtweg unmöglich. Konkret bedeutet das, dass auch alle Personen aus diesen privilegierten Ländern nur noch mit Visum einreisen sollten, um mit diesem auch sofort arbeiten zu dürfen.

Gut ist aktuell nur, dass die Einreisevisa für ein Jahr gültig sind, sodass dieser Vorlauf ausreichen sollte, um die Blue Card oder die notwendigen Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis bei der Ausländerbehörde zu beantragen.

Nadelöhr Nummer drei ist bei vielen Ausländerbehörden – vor allem in größeren Städten wie Stuttgart, München oder Frankfurt – überhaupt einen Termin zu ergattern. Das hat etwas von dem Online-Kauf von Konzertkarten für ein Stones-Konzert … Ausdauer, Glück und Hartnäckigkeit! Aber erzähl das mal einer hochmotivierten Fachkraft, warum da nichts geht und sie oder er sich von einer Fiktionsbescheinigung zur nächsten hangeln muss.

Diese Fiktionsbescheinigungen verunsichern zudem viele Arbeitgeber. Was darf mein Mitarbeitender damit? Darf er oder sie auf Geschäftsreise? Wie sieht es mit dem Familiennachzug aus? Was, wenn der Titel tatsächlich abgelaufen ist und es „nur“ eine Eingangsbestätigung der Ausländerbehörde gibt, die besagt, ein Termin zur Verlängerung des Titels sei fristgerecht gestellt? Anrufen und nachfragen? Fehlanzeige – weil es einfach nicht genügend Mitarbeitende in den entsprechenden Behörden gibt.

Und jetzt?

Gute Frage, nächste Frage …

Die nackte Wahrheit: Wir sind als vermeintliches Einwanderungsland meilenweit von der versprochenen Beschleunigung der Verfahren entfernt. Wie kann es sein, dass sich ein Unternehmen freut, wenn ein iranischer Mitarbeitender mit dem beschleunigten Verfahren nach „nur sechs Monaten“ endlich einreisen darf? Beschleunigtes Verfahren, sechs Monate – das geht nicht wirklich zusammen! Und kostet zudem noch 411 €!

Ich möchte hier nicht lamentieren. Es ist notwendig, dass vor allem die Behörden so ausgestattet werden, dass sie in der Lage sind, diesem Anspruch auf Beschleunigung auch nachzukommen. Und zwar ausgestattet mit motivierten Mitarbeitenden und digitalen Lösungen. Und diese sollte dann keine Insellösung für Buxtehude sein und in Oberursel gibt es schon wieder eine andere, sondern bitte flächendeckend, sodass der Datentransfer nicht zum nächsten Nadelöhr wird!

Zusätzlich ist es notwendig, dass diese sehr laaaange Zeitschiene den Unternehmen und den künftigen Mitarbeitenden bekannt ist und beim Onboarding abgebildet wird. Sonst führt es nur zu Enttäuschungen und langen Gesichtern!