Interkulturalität im Schulalltag

In der Zusammenarbeit mit und Weiterbildung von Sozialarbeitern, Lehrern oder gemeinnützigen Organisationen, welche im schulischen Kontext agieren, wie etwa ‚Teach First Deutschland‘, gestaltet sich die Auseinandersetzung mit dem Thema Interkulturalität oft situativ. Ein interkulturelles Bewusstsein zu schaffen, das nicht zu abstrakt vermittelt wird, stellt hierbei die eine Herausforderung dar. Das zugleich aber oft stark ausgeprägte Bedürfnis nach einer regelorientierten oder gar dogmatischen „One-size-fits-it-all“-Lösung, die andere. Fallbeispiele, wie das folgende aus dem Klassenzimmer-Kontext, gepaart mit konkreten Reflexionsansätzen, um den Handlungsspielraum zu erweitern, helfen dabei, diesen Balance-Akt zu bewältigen.

Nehmen wir als Beispiel einen Schüler namens Erdem, welcher im Elternhaus von orientalischen Einflüssen umgeben ist und diese (unbewusst) im Klassenzimmer einbringt.

Ein Lehrer misstraut Erdem, empfindet ihn als zu gefällig. Zudem hat er bemerkt, dass Erdem häufig die Dinge anders darstellt, als sie sind. Er meldet sich auch ungefragt, insbesondere dann, wenn seine Freunde aufgerufen oder ermahnt werden, fällt ins Wort und hat einen Hang zum Dramatisieren. Der Lehrer geht dazu über, Erdem bei Regelverstößen fortan konsequent zu sanktionieren, vielleicht sogar konsequenter als Erdems MitschülerInnen. Erdem soll klar verstehen, dass er sich beim Lehrer nicht „einschleimen“ kann, dieselben Regeln für alle gelten und seine Freunde in der Klasse für sich selbst sprechen können.

Gehen wir von einem anderen Reflexionsspielraum aus: Erdems Lehrer weiß, dass in orientalischen Kulturen vermieden wird, etwas zu sagen, dass den Anderen verletzt bzw. einen Konflikt herbeiführt und vice versa insbesondere das gesagt wird, was den Anderen „gut“ dastehen lässt und ihm gefällt. Er weiß ebenso, dass Erdem sich womöglich in der Klasse als Teil einer Gruppe sieht, zu der sein Freundeskreis in der Klasse gehört, woraus er einen maßgeblichen Teil seiner Identität und Rolle ableitet – auch im Klassenzimmer.

„Lügt“ oder „verheimlicht“ Erdem wirklich etwas mit böswilliger Absicht? Oder befürchtet er, den Lehrer mit „schlechten Neuigkeiten“ zu enttäuschen, gar zu beleidigen oder etwa sich selbst und / oder seine Freunde in der Klasse schlecht dastehen zu lassen? Will Erdem sich gute Noten „erschleichen“, um sich Arbeit zu sparen oder sieht er es als Gebot der Höflichkeit an, seinen Lehrer positiv zu stimmen, unangenehme Fakten charmant außen vor zu lassen, als Teil einer gelungenen Beziehungsarbeit? Misst Erdem Beziehungen eine höhere Bedeutung bei als Regeln?

Weiß er, dass er offen Dinge ansprechen kann, so wie sie sind, auch unbequeme Wahrheiten und genau dadurch das Vertrauensverhältnis zum Lehrer gestärkt und nicht geschwächt wird, sprich sein Ansehen beim Eingestehen von Fehlern gegenüber dem Lehrer steigt und nicht sinkt?

Wenn er seinen Freunden ins Wort fällt, obwohl sie aufgerufen werden und nicht er: Will er zeigen, was er weiß und dem Lehrer imponieren? Oder will er seine Freunde bevormunden? Oder will er sie davor schützen, ahnungslos zu wirken und ihr Gesicht wahren? Ist er das „Käpsele“ in der Gruppe, auch in der Freizeit und erwarten seine Freunde vielleicht sogar, dass er „für sie“ antwortet, weil es gruppenintern seiner Rolle entspricht? Reagieren die Freunde erleichtert oder genervt, wenn er das macht?

Es gibt für solche Fallbeispiele keine „richtigen“ Lösungen, aber mehrere. Compass unterstützt Pädagogen dabei, diese kulturbezogen im pädagogischen Handeln reflektieren zu können, Lücken im eigenen interkulturellen Bewusstsein zu entdecken und den multi- und interkulturell geprägten Werdegang junger Menschen unterstützend zu begleiten.