Interkulturelle Kompetenz endet nicht am Flughafen
Die Ferienzeit ist da und mit ihr die Reiselust. Viele Menschen zieht es in andere Länder, zu neuen Kulturen und in fremde Lebenswelten. Doch während wir im beruflichen Kontext immer mehr über interkulturelle Kompetenz sprechen, wird die oft nicht mit in den Urlaub genommen. Mit kurzen Hosen in die Moschee, Fotografieren einer „exotischen“ Braut, lautstarke Gespräche im Tempel, in dem Gläubige in Ruhe meditieren, „lustige“ Selfies in Gedenkstätten. Wer viel reist, kennt die Beispiele. „Ich habe Urlaub, da will ich mich nicht verbiegen“, heißt es dann. Oder: „Die laufen bei uns ja auch herum, wie sie wollen.“
Die Reisegruppe als Spiegel
Im Mai habe ich eine geführte Rundreise durch Usbekistan gemacht. Zwei Wochen, eine kleine Gruppe und ein bleibender Eindruck. Die Kulturschätze des Landes sind beeindruckend, die Menschen offen, interessiert und herzlich. Trotz sprachlicher Barrieren entstehen immer wieder Gespräche, Begegnungen, Momente echter Verbindung. Auch in der eigenen Gruppe wurde beobachtet, diskutiert und nicht selten bewertet. Ich selbst habe unserem Reiseleiter viele Fragen gestellt, weil ich Land, Kultur und Hintergründe besser verstehen wollte. Das hatte einige irritierte Blicke zur Folge. Doch was mich am meisten erstaunt und geärgert hat, war der Mangel an Respekt gegenüber lokalen Gepflogenheiten, besonders beim Thema Kleidung.
Usbekistan ist ein moderat muslimisches Land. Frauen tragen häufig Kopftücher, Männer traditionelle Kleidung. Kurze Hosen und freie Schultern sind selten zu sehen, auch bei hohen Temperaturen. Besucher jedoch beschweren sich, wenn ihnen der Zutritt zur Moschee verweigert wird, weil sie unangemessen gekleidet sind. „Es ist warm, ich laufe herum, wie ich will!“ Ein Satz, den ich öfter gehört habe. Und jedes Mal frage ich mich: Wo bleibt der Respekt?
Höflichkeit ist keine Einbahnstraße
Im beruflichen Umfeld sprechen wir von Cultural Awareness und interkultureller Sensibilität. Aber warum endet diese Haltung am Hotelbuffet? Interkulturelle Kompetenz ist keine Technik, die man im Business einsetzt und im Urlaub dann einfach ausschaltet. Sie ist eine von Respekt, Offenheit und Reife geprägte Haltung. Jedes Land ist mehr als seine Sehenswürdigkeiten. Es ist ein Geflecht aus Werten, Traditionen, Geschichte und Religion. Wer das ignoriert, verpasst echte Erfahrungen und läuft Gefahr, die Menschen vor Ort zu verletzen.
Der blinde Fleck im „Global Mindset“
Wer internationale Teams führt, global vernetzt arbeitet oder Diversity im Unternehmen fördert, sollte sich ehrlich fragen: Wie glaubwürdig lebe ich kulturelle Sensibilität, wenn ich im Urlaub die einfachsten Regeln nicht respektiere? Diese Frage ist kein Vorwurf. Verstehen Sie es als eine Einladung zur Selbstreflexion. Es sind oft kleine Gesten, die Großes bewirken: ein Lächeln, eine respektvolle Haltung, echtes Interesse. Das öffnet Türen und Herzen.
Ein Erlebnis bleibt mir besonders im Gedächtnis: ein Gespräch mit einem jungen Imam über Hochzeitsrituale in Usbekistan. Das Gespräch war respektvoll, spannend, voller Details. Im Bus danach kommentierte ein Mitreisender abfällig: „Klar, das erzählen die Touristen halt so. In Wahrheit sind muslimische Frauen doch alle unterdrückt.“ Unser Reiseleiter war sichtbar getroffen und ich auch.
Fünf Impulse für eine respektvolle Reiselust
- Informieren statt ignorieren
Was ist kulturell wichtig im Reiseland? Welche religiösen Gebote gelten? Was sollte man besser nicht fotografieren? - Kleidung mit Augenmaß
In Kirchen, Tempeln und Moscheen gilt: lieber zu viel als zu wenig Stoff. Schultern und Knie zu bedecken – für Männer und Frauen – ist ein Zeichen des Respekts. Frauen sollten ein Tuch für den Kopf dabeihaben. - Kamera aus, Respekt an
Nicht alles, was fotogen ist, will auch fotografiert werden. Heilige Orte, Rituale oder Menschen sind keine Kulisse für Social Media. Manchmal ist der Moment ohne Kamera intensiver. - Verhalten hinterfragen
Wie begrüßt man sich? Welche Tischsitten gelten? Welche Gesten sind unhöflich? Solche Informationen kosten wenig Zeit, zeigen aber viel Respekt. - Demut statt Dominanz
Als Gast sollte man offen und neugierig sein, nicht alles bewerten oder lächerlich machen. Wer wirklich eintauchen will, muss bereit sein, eigene Maßstäbe loszulassen.
Reisen mit Verantwortung
Interkulturelle Kompetenz zeigt sich besonders dann, wenn niemand zuschaut. Nicht im Meetingraum, sondern im Alltag und auch im Urlaub. Wer sich fremden Kulturen mit offenem Herzen nähert, erfährt nicht nur mehr, sondern wird selbst zum Botschafter für Respekt und Verbindung.
In diesem Sinne: Lasst uns nicht nur reisen, lasst uns uns begegnen.