Retention statt Rotation: Vom Sprung ins kalte Wasser und warum internationale Talente oft schneller gehen, als sie gekommen sind

Internationale Talente für ein Unternehmen zu gewinnen, gelingt vielen noch erstaunlich gut. Doch sie langfristig zu halten, daran scheitern die meisten. Und die Schuld wird nur allzu gern auf die Mitarbeitenden selbst geschoben: Sie „wechseln für 100 Euro den Job“, „zeigen kein echtes Interesse“ oder „integrieren sich einfach nicht“. Sicher, solche Fälle gibt es, das erleben wir als Relocater auch. Aber in der Realität erleben wir viel häufiger etwas anderes: hoch motivierte Menschen, die allein gelassen werden und dann irgendwann frustriert das Weite suchen.

Zwischen großen Versprechen und kalter Realität

Der Einstieg internationaler Fachkräfte beginnt oft glänzend: Karrierechancen, Benefits, ein modernes Arbeitsumfeld. Doch was folgt, fühlt sich nicht selten wie ein Sprung ins Eisbecken an:

  • Die Wohnungssuche und Kinderbetreuung? Kein Support, bitte selbst klären und auch selbst bezahlen.
  • Die erste Arbeitswoche? Meetings auf Deutsch.
  • Das Team? Freundlich, aber distanziert.
  • Die Kommunikation? Zwischen den Zeilen, meist noch im Dialekt.
  • Das Feedback? „Du passt irgendwie nicht so ganz hier rein.“

Die Aussage der Führungskraft dazu: „Der ist doch freiwillig hier, hat sich hier beworben und muss dann auch damit klarkommen!“ Klar! Nach wenigen Monaten folgt dann die Kündigung, und für manche Arbeitgeber ist das die vermeintliche Bestätigung, dass internationale Rekrutierung „nicht funktioniert“. Die Wahrheit ist unbequem: Es fehlt keineswegs am Talent, sondern an Strukturen und echter Willkommenskultur.

Willkommenskultur ist mehr als Obstkorb und Imagevideo

Retention beginnt nicht mit Hochglanzbroschüren oder Diversity-Postings. Sie beginnt dort, wo Orientierung, Zugewandtheit und echte Strukturen den Alltag prägen. Internationale Mitarbeitende brauchen:

  • Klarheit in Sprache, Prozessen und Zuständigkeiten
  • zugewandte Führungskräfte und Teams, die Unterschiede nicht übersehen, sondern aktiv wertschätzen
  • strukturiertes Onboarding, das interkulturell angepasst ist und den gesamten Menschen im Blick hat

Das ist keine Frage von Image, sondern von Haltung. Und Haltung zeigt sich am besten im täglichen Miteinander.

Drei unbequeme Fragen, die Unternehmen sich stellen sollten

Bevor Unternehmen über Retention-Strategien nachdenken, lohnt es sich, drei zentrale Fragen ehrlich zu beantworten:

  • Fühlen sich internationale Mitarbeitende in den ersten 90 Tagen sicher, verstanden und eingebunden?
  • Gibt es ein strukturiertes, mehrsprachiges Onboarding, das auch Familienbedarfe berücksichtigt?
  • Wer im Unternehmen trägt außer dem Neuzugang selbst tatsächlich Verantwortung für Integration?

Die meisten Unternehmen können diese Fragen gar nicht beantworten, weil sie sich diese schlicht noch nie gestellt haben. Damit bleibt enormes Potenzial ungenutzt.

Erste Schritte zu einer echten Willkommenskultur

Der Aufbau einer nachhaltigen Willkommenskultur ist kein Sprint, sondern ein Prozess. Erste konkrete Schritte können sein:

  • mehrsprachige Informationen auf den Karriereseiten und im Onboarding,
  • ein Ankommens-Guide mit praktischen Tipps zu Wohnung, Arzt, Kita, Mobilität – und klaren Ansprechpartnern,
  • Kooperationen mit externen Services, Sprachkursen und Community-Angeboten, finanziert vom Unternehmen,
  • interkulturelle Trainings für Führungskräfte und Teams, um unbewusste Vorurteile abzubauen,
  • Onboarding-Prozesse unter der interkulturellen Lupe, ergänzt durch spezifische Module für internationale Mitarbeitende,
  • regelmäßige Feedbackschleifen nach 1, 3 und 6 Monaten, die zeigen: „Deine Stimme zählt.“,
  • Buddy-Programme, die neue Kolleginnen und Kollegen beim Ankommen im Alltag unterstützen.

Fazit: Zugehörigkeit ist kein Nebeneffekt

Natürlich erfordern diese Maßnahmen Zeit, Budget und Verantwortlichkeiten. Aber Mitarbeiterbindung ist eben das Ergebnis einer strategischen Willkommenskultur, die Zugehörigkeit ab dem ersten Tag schafft. Und das zahlt sich aus. Die langfristige Bindung internationaler Talente entsteht also nicht durch Glück oder Zufall, sondern durch bewusstes Gestalten. Wer glaubt, dass Recruiting schon reicht, verkennt die Realität. Erst wenn Unternehmen den Mut haben, Strukturen, Prozesse und Haltung interkulturell weiterzuentwickeln, entsteht ein Umfeld, in dem Talente bleiben und wachsen.

Was tut euer Unternehmen, um internationale Talente wirklich zu halten? Ich freue mich auf Austausch, Erfahrungsberichte oder kritische Nachfragen. Du brauchst Ideen, wie eine Roadmap zur Etablierung einer nachhaltigen Willkommenskultur aussehen kann? Sprich uns an!