Unser Blick auf die Weltkarte

Schon in der Schule lernen wir, „wie die Welt aussieht“. „Oben“ sind wir und „unten“ liegt der Süden oder etwas konkreter: Die Karte von Gerhard Mercator, die dieser 1569 zeichnete, zeigt uns, dass Europa in der Mitte liegt, westlich davon Amerika und Südamerika und südlich davon Afrika. Diese Karte ist in unseren Breiten die bekannteste. Allerdings vermittelt sie auch den Blick der Kolonialzeit, denn Europa war dabei, „den Süden“ zu entdecken und zu kolonialisieren, Handelsrouten nach Asien entstanden – immer mit der Idee eines Europas als Mittelpunkt der Welt.

Diese Karte ist nicht stimmig, denn ursprünglich als Seekarte gezeichnet, bildet sie zwar die Winkel zwischen Ländern genau ab, nicht aber die Flächen. Da der Äquator auf dieser Karte im unteren Drittel liegt, haben wir den Eindruck, die Länder auf der Nordhalbkugel sind größer und Europa liegt genau mitten drin. So bestimmt dieses Bild unsere Perspektive gegenüber den südlichen Ländern.

Ändern wollte 1974 diese Perspektive der Historiker Dr. Arno Peters, der auf seiner Weltkarte die Länder in ihrem Flächenverhältnis richtig darstellt. Dadurch werden die Umrisse der Kontinente und ihre Lage zueinander allerdings nicht wirklichkeitsnah abgebildet. An seiner Darstellung gab es viel Kritik, u.a. sei seine Herangehensweise nicht wissenschaftlich genug. Die perfekte Karte kann es nicht geben, da sich aus einem dreidimensionalen Körper kein zweidimensionales Bild zeichnen lässt.

Spannend ist die interaktive Karte von <LINK thetruesize.com _blank>„TheTrueSize</link>“, auf ihr sieht man, dass Länder wie Kanada, Russland und Grönland nicht annähernd so groß sind, wie wir glauben. Und die Website ermöglicht es, einzelne Länder auf der Landkarte zu verschieben. So sieht man, dass die USA und Australien fast gleich groß sind, wenn man sie nebeneinander legt.

Ein solcher Perspektivwechsel ist wichtig, denn er kann unser Bild und unsere Haltung zur Welt verändern. Wer „oben“ liegt ist machtvoll, die falsche Größe Europas im Vergleich zum afrikanischen Kontinent transportiert noch immer den kolonialen Blick und mit Bezeichnungen von „oben“ oder „unten“ vermitteln wir bewusste oder unbewusste Bewertungen, wie zum Beispiel „oben = entwickelt, unten = unterentwickelt“.

In einer Zeit, in der wir uns immer mehr mit der Vielfalt der Gesellschaft, mit Initiativen wie „BlackLivesMatter“ auseinandersetzen, uns kritischer mit bestehendem und strukturellem Rassismus beschäftigen, den Kolonialismus und seine Auswirkungen auf die heutige Zeit zum Thema machen, gehört ein differenzierter Blick auf die Weltkarte und die kritische Frage: Was macht dieser Blick mit unseren Einstellungen zum „Rest der Welt“? dazu.

Übrigens: In unserem Büro hängt auch eine Karte, die die Welt „auf dem Kopf“ darstellt und war schon oft ein guter Gesprächsbeginn mit Besuchern!