Wir sind alle Rassisten!

Um Gottes Willen – sicher nicht! Wie kann man so etwas behaupten? Unverschämtheit! Es läuft doch nicht jede oder jeder rum und gibt rassistische Sprüche von sich! Oder diskriminiert ständig! Nun, ich bin so frech und bleibe bei dieser Behauptung.

Diskriminierung geschieht nicht nur bewusst

Natürlich laufen wir nicht alle rum und kloppen rassistische Sprüche oder stellen übergriffige Fragen. Und dennoch diskriminieren wir ständig, unbewusst und unbeabsichtigt! Ich auch – leider! Auch wenn ich es mittlerweile oft rechtzeitig erkenne oder mich bei diskriminierenden Gedanken ertappe und diese hinterfrage. Wir haben alle recht deutliche Bilder von „den Anderen“ im Kopf, die wir seit unserer Kindheit so ganz nebenbei erlernt haben. Wir werden, ob wir das wollen oder nicht, tagtäglich von den (sozialen) Medien beeinflusst. Wir bewegen uns in unserer Bubble, die sehr oft keinerlei tiefergehende Berührungspunkte mit People of Colour oder mit Menschen aus anderen Kulturen hat. „Stimmt nicht“, werden Sie sagen! „Ich habe internationale Kolleg*innen und die Zusammenarbeit klappt hervorragend!“ Reicht das aus, um nicht zu diskriminieren? Leider nein!

Vom ‚Unconscious Bias‘ und weißen Privilegien

Auch ich bin erst mal zu dieser Behauptung, ich sei rassistisch, klar auf Abstand gegangen. Und ich habe gelernt, dass es leider die Wahrheit ist und ich aus der Nummer nur rauskomme, wenn ich mich aktiv mit meinem ‚unconscious bias‘ und meinen weißen Privilegien auseinandersetze. Das war und ist nicht immer angenehm. Das ist mit Scham behaftet und der Erkenntnis, dass es an vielen Stellen einfach an Wissen fehlt.

Für mich war die enorme Aufregung um das Sylt-Video vor ein paar Wochen überraschend. Denn es gibt mehr als genug ähnliche Fälle, die auch zu polizeilichen Ermittlungen geführt haben und daher nachvollziehbar sind. Eine aktuelle Recherche der ZEIT hat insgesamt 87 ähnliche Fälle seit 2023 ans Licht gebracht, gleichmäßig verteilt über ganz Deutschland; oft geschehen auf Festen, in Diskotheken oder auch bei privaten Feiern. Und in den meisten Fällen wurde der von Sylt bekannte Refrain gegrölt – von Menschen allen Alters und sozialer Herkunft. Rassismus ist mitten unter uns – nicht erst seit gestern.

Rassismus geschieht täglich und überall

Und es hilft wenig dagegen, wenn wir uns empört dazu äußern. Denn auch dann sind wir nicht gegen eigene Gedanken wie „Die trägt Kopftuch, die wird sicher dazu gezwungen.“ gefeit. Oder wir stellen die ‚gut gemeinte‘ Frage nach der ‚wirklichen‘ Herkunft und sichern jemandem die guten Sprachkenntnisse zu oder machen eine ‚lustige‘ Bemerkung zur ‚gesunden Gesichtsfarbe‘ oder den ‚super Locken‘. Doch wir grenzen damit einfach nur aus. Das sind vielleicht banale Beispiele, aber sie geschehen jeden Tag in großem Umfang. Reagiert eine Person of Colour dann genervt und ärgerlich – oder weist sie vielleicht sogar auf die Diskriminierung hin – ist sie natürlich „arg sensibel, obwohl ich mich ja so sehr für sie interessiere und es nur positiv meine“.

Was kann ich tun, um weniger rassistisch zu sein?

Was hilft, ist eine bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Stereotypen und Vorurteilen und das ständige Hinterfragen, wo ich diese denn gelernt habe. Es ist die radikale Akzeptanz, dass nicht ich entscheide, ob die Frage nach der Herkunft Offenheit signalisiert, sondern der Empfänger oder die Empfängerin der Nachricht. Und wenn ich mit dieser oder ähnlichen Fragen diskriminiert habe, habe ich mich zu entschuldigen und zu reflektieren, warum ich so agiere.

Das Entlernen von rassistischen Gedankenmustern

Ein Teilnehmer in einem Workshop zum Thema Unconscious Bias sagte mir: „Wie gut, dass ich jetzt weiß, wo ich viele meiner Bilder im Kopf erlernt habe, denn dann kann ich das ja auch wieder entlernen!“ Entlernen – ein wunderbarer Begriff, der klarmacht, worum es geht. Raus aus dem Kopf mit diesen meist falschen Vorannahmen! Rein in den Kopf muss dafür Wissen, um kultursensibel agieren zu können, die Mechanismen von Diskriminierung zu kennen und die Erkenntnis, eigenes Verhalten regelmäßig zu reflektieren.

Denn die allermeisten von uns haben durchaus selbst Diskriminierung erlebt, nicht in einem Umfang wie von Rassismus Betroffene; aber dennoch sollten wir in der Lage sein, zu reflektieren, was diese Verletzungen mit uns machen oder gemacht haben. Ein erster Schritt wäre es, wenn wir nicht länger leugnen, dass es in unserer Organisation keinen Rassismus oder andere Formen von Diskriminierung gibt, sondern dass wir beginnen, uns neugierig damit auseinanderzusetzen. Und ernsthaft mit Betroffenen ins Gespräch kommen, um uns sagen zu lassen, was diese sich von uns wünschen.

Wann machst du diesen ersten Schritt? Oder wann hast du ihn schon gemacht?